01.08.2021 – Wilhelm Tell einmal anders

Gerne möchten wir mit Ihnen drei sicherheits- und gesellschaftspolitische Überlegungen zur Tell-Saga teilen, die kaum an 1.-August-Reden gesagt werden:

1)    Persönliche Autonomie ist wichtiger als nationale

Der Grund für die Konfrontation zwischen Tell und Gessler war nicht, dass die Habsburger in der Schweiz Gesetze erliessen oder dass sie Tell Stimm- und Wahlrecht verweigerten. Vielmehr kam es zum Kampf, als Tell einer persönlichen Schikane, einem sinnlosen, demütigenden Zwang unterworfen wurde. Tells Exempel lehrt, dass Recht beziehungsweise Unrecht von Gesetzen und Vorschriften wichtiger sind als die Frage, wer sie gibt. Natürlich ziehen wir es vor, uns unsere Gesetze selbst zu geben. Aber der Kampf um die nationale Autonomie der Schweiz darf niemals zu einer Vernachlässigung des Kampfes für den Erhalt der persönlichen Freiheit des einzelnen Mitgliedes der Schweizer Gesellschaft führen. Gesetze, die Unrecht zementieren, diskriminieren und demütigen, führen ins Verderben, auch wenn sie dem Willen der demokratischen Mehrheit entspringen.  

2)    Freiheit ohne Tugendhaftigkeit ist nicht verteidigungswürdig

Tell tötete den Tyrannen Gessler. Er sprengte keine habsburgische Pizzeria in die Luft und er erschoss keine habsburgischen Schulkinder. Hätte er Letzteres getan, wäre er mit hundertprozentiger Sicherheit nicht zum Nationalhelden geworden. Und hätte er Letzteres tun wollen, wäre es besser gewesen, er hätte nicht die Freiheit besessen, es tun zu können. Anders, als es in antiimperialistischen und kulturrelativistischen Kreisen immer wieder behauptet wird («Der Freiheitskämpfer der einen ist der Terrorist der anderen»), gibt es einen absoluten Unterschied zwischen Gut und Böse. Die erste Qualität eines jeden Helden ist, diesen Unterschied anzuerkennen. Die zweite, sich unter erheblichen Entbehrungen und/oder Gefahren für das Gute zu entscheiden. Tells «Standing» als heldenhafter Freiheitskämpfer ist untrennbar verbunden mit der Tugendhaftigkeit seines Handelns. Wollen wir überdurchschnittlich frei sein, sollten wir uns auch bemühen, überdurchschnittlich tugendhaft zu sein. Die Freiheit, Böses zu tun oder zuzulassen, ist nicht verteidigungswürdig.  

3)    Eine bewaffnete Mehrheit der Bürger ist besser als eine unbewaffnete Mehrheit der Bürger

Hätte Gessler auf der Demütigung Tells beharrt, wenn er gewusst hätte, dass er sie mit dem Leben bezahlen würde? Wohl kaum. Hätte Tell Gessler auch ohne Armbrust töten können? Möglicherweise. Sicher ist aber, dass es viel schwieriger für ihn gewesen wäre: Waffen erleichtern Gewalt. Waffen erleichtern Gewaltstraftätern und Tyrannen Gewalt, und sie erleichtern deren Opfern Gegengewalt. 2020 wurden in der Schweiz 1668 schwere Gewaltstraftaten polizeilich registriert. Selbst wenn man – völlig realitätsfremd – unterstellt, kein Täter habe zwei Taten begangen und nur eine von zehn solcher Taten sei bekanntgeworden, käme man auf 16’680 Personen, die eine schwere Gewalttat verübten. Mit anderen Worten: In der Schweiz verübt die erdrückende Mehrheit keine schweren Gewaltstraftaten, obwohl die erdrückende Mehrheit das Recht auf Legalwaffenbesitz hat. Dieses Recht zu beschneiden, macht die Gessler nicht besser: Es macht nur die Tells schwächer.   Mehr dazu auf www.piusicur.ch